Leise über die Dächer der Stadt gleiten und umweltschonend per Gondel von A nach B kommen – das ist die Vision der Seilbahn-Befürworter. Ein verändertes Stadtbild und mangelnder Datenschutz – davor warnen die Gegner. Doch gerade in Großstädten, wo der Straßenverkehr vermehrt an seine Grenzen stößt und selbst die öffentlichen Transportmittel völlig ausgelastet sind, wird immer mehr über urbane Seilbahnen diskutiert. Sebastian Beck, Infrastruktur-Experte vom Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer, gibt für den KBD einen näheren Einblick in die Thematik.
|Herr Beck, das thema „Urbane Seilbahnen“ ist derzeit in aller Munde – woran liegt das?
Der Grund ist, dass die Straßen oder der öffentliche Nahverkehr – gerade in größeren Städten – überlastet sind und sich auch die Infrastruktur längst am Limit befindet. Der Bau von U-Bahnen ist teuer, und neue Straßen sind platzbedingt kaum mehr möglich. Im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsgedanken, der hierzulande immer mehr aktiv gefördert wird, hat das zu einem Umdenken geführt. Eine sehr gute Alternative, die Städte künftig grüner und umweltbewusster zu gestalten, können hierbei deshalb in der sogenannten Ebene +1 die urbanen Seilbahnen sein. Wichtig: Sie müssen dabei in das System öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) integriert werden. Ganz davon abgesehen, dass die Seilbahnen das Stadtbild neu prägen und zu einer echten Attraktion werden würden.
|Drees & Sommer erarbeitet momentan mit dem Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur einen Leitfaden zur „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs“. Was hat es damit auf sich?
Unser Ziel ist es, Anreize für ein besseres Verkehrssystem und für eine nachhaltige Mobilität zu setzen. Dazu ermitteln wir den optimalen Einsatz einer Seilbahn, die städtebauliche Integration und die Verknüpfung mit dem ÖPNV. Unsere Studie leiten wir aus der Untersuchung von internationalen Seilbahnen wie beispielsweise in Brest, Ankara oder La Paz ab und sammeln daraus Erkenntnisse für mögliche Seilbahnprojekte in Deutschland. Im Fokus stehen dabei vor allem gesellschaftliche und politische Aspekte, der Vergleich von Kosten und Nutzen sowie die Einführung eines nationalen Standards. In erster Linie geht es aber darum abzuwägen, wo eine Seilbahn überhaupt sinnvoll ist und wo nicht. Ursprung des Vorhabens war eine Gesetzesänderung Anfang 2020, als Seilbahnen zum förderungsfähigen Teil des ÖPNV erklärt wurden.
|Welche Voraussetzungen müssen ihrer Meinung nach erfüllt werden, damit Seilbahnen auch als städtisches Transportmittel eine Zukunft haben?
Das allerwichtigste ist, dass sie in den ÖPNV integriert werden und nicht nur als touristische Attraktion gelten, so wie die bereits vorhandenen Seilbahnen in beispielsweise Köln und Koblenz. Eine große Rolle spielt zudem der Rückhalt der Bürger. Denn obwohl im Vorfeld häufig und heftig umstritten, wollen die Menschen dort, wo sie umgesetzt ist, ihre Seilbahn nicht mehr missen. Ein transparenter Prozess ist deshalb das A und O. Und das wiederum kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung in dieser Thematik von Beginn an mitgenommen wird. Denn nur wer den Dialog sucht und offensiv kommuniziert, kann auch die Bedenken der Menschen berücksichtigen und ausräumen – das ist auch eines unserer Ziele bei der Erstellung des Leitfadens. Da eine Seilbahn außerdem städte- und gebäudeplanerisch enorm viele Möglichkeiten bieten würde, müssen wir lernen, hier neu zu denken. Eine Trasse inklusive ihrer einzelnen Stationen wäre nämlich viel besser in eine Stadt zu integrieren, als man anfangs denkt. Beispiel: Eine Station könnte problemlos auf dem Dach neuer Gewerbeimmobilien oder Lagerhallen geplant werden. Dazu müssen wir uns aber von dem gewohnten Gedanken lösen, ein Gebäude grundsätzlich über das Erd- oder Untergeschoss zu betreten. Das Gleiche geht nämlich auch von ganz oben.
|Welche Herausforderungen tauchen in Verbindung mit urbanen Seilbahnen immer wieder auf?
Für ein urbanes Seilbahnsystem gibt es kein Patentrezept. In jeder Stadt ist die Infrastruktur, das Verkehrsaufkommen oder die Topografie unterschiedlich. Was in Stadt A super funktionieren würde, könnte in Stadt B hingegen überhaupt keinen Sinn ergeben. Deshalb muss jeder Ort ganz individuell betrachtet werden, inwiefern eine Seilbahn sinnvoll wäre. Dann gibt es noch die Kritiker, die sich auf Datenschutz und Privatsphäre berufen, weil Gondeln über private Grundstücke hinweg schweben könnten. Aber dieses Problem ließe sich dank moderner Technik lösen. Das sogenannte „Privacy Glass“ könnte die Scheiben während der Fahrt zeitweilig verdunkeln, um die Einsicht auf Privatgrundstücke zu schützen. Meistens jedoch kommt bei den Seilbahngegnern das Sankt-Florian-Prinzip zum Tragen: Das bezeichnet die Einstellung von Personen, die die Vorteile fortschrittlicher Technologie zwar nutzen, aber keine Nachteile in Kauf nehmen wollen.
Info
Sebastian Beck hat Infrastrukturmanagement an der Hochschule für Technik in Stuttgart studiert. Anfang 2010 startete er bei den Experten für Infrastruktur von Drees & Sommer mit den Schwerpunkten Erschließungs-, Schieneninfrastruktur-, Energie- und Seilbahnprojekte. Seit Oktober 2016 ist Beck als Bereichsverantwortlicher Infrastruktur für den Standort Baden-Württemberg verantwortlich. Darüber hinaus gibt er sein Wissen im Bereich Bau- und Immobilienmanagement als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik in Stuttgart im Studiengang Infrastrukturmanagement weiter.